Die Zuhause-Phase

Die Zuhause-Phase

Teil 1: Die erste Mutter-Phase

Diese sehr prägende Phase besteht aus zwei Teilen: der erste Teil, in dem die Mutter den Haupteinfluss ausübt und der zweite, in dem das der Vater tut. Kritische Faktoren in dieser Zuhause-Phase sind die intellektuelle Entwicklung, die vor allem in den ersten sechs Jahren stattfindet, und die physische (sexuelle) Entwicklung, die mit Beginn der Pubertät einsetzt. Das ist bei Mädchen in der Regel im Alter zwischen 9 und 11 Jahren der Fall, und bei Jungen im Alter zwischen 11 und 13 Jahren. Die Bestimmung dieser Schlüsselfaktoren ermöglicht es uns, bei der Beschreibung der Bedürfnisse in der kindlichen Entwicklung jeder Phase spezifischer zu sein.

1. Jahr

Schon in den ersten Stunden nach einer Geburt beginnt die Mutter dem Kind ein Gefühl von Intimität zu vermitteln. Auf vielen Geburtsstationen werden die Mütter angeregt, in diesen Stunden „Haut-zu-Haut-Kontakt“ mit ihren Neugeborenen zu pflegen. Diese Handlung bestimmt in einem großen Maß, wie dieser neue Mensch in späteren Jahren mit emotionaler Intimität umgehen kann. Erikson beschreibt, wie Vertrauen und Misstrauen in diesen ersten Lebensmonaten erlernt werden. Und zwar, indem das Kind Vertrauen in Personen und Objekte entwickelt. Wächst es in einem Umfeld auf, in dem es Vertrauen erlernt, dann wächst das Kind mit der Erwartung auf, dass seine Bedürfnisse gestillt und seine Wünsche erreicht werden können. Erlebt es seine Umwelt aber als unsicher und nicht vertrauensbildend, dann erscheint ihm die Welt als ein unfreundlicher und unberechenbarer Ort.

Viele Kinder bestätigen, dass sie, obwohl ihre Mütter sie lieben, niemals die Nähe erlebt haben, welche nur diese Intimität zwischen Mutter und Kind schaffen kann. Für einige ist das sehr offensichtlich: „Andere Dinge sind meiner Mutter wichtiger als ich es bin.“ Andere dagegen erfahren nur einen allgemeinen Schmerz: „Ich finde es sehr schwierig, jemanden wirklich richtig nah an mich heranzulassen.“ Enge, intime Begegnungen mit der Mutter sind lebenswichtig. Sie schaffen und entwickeln ein Band des Vertrauens zwischen der Mutter und dem Kind. Und sie lehren es, sich selbst jemandem anzuvertrauen – was ein grundlegender Bestandteil eines Menschenlebens ist.

Es ist höchst faszinierend wie neurowissenschaftliche Entdeckungen die Entwicklungstheorien untermauern. Die Neurowissenschaftlerin Dr. Etienne van der Walt erklärt, was sich physisch während einer Geburt bei der Mutter, dem Vater und dem Baby abspielt:

„Im Gehirn der Mutter und des Kindes wird der Neurotransmitter Oxytocin freigesetzt, um die Bindung zu steigern und die Mutter zur Versorgung des Kindes zu befähigen. Das führt zu Vertrauen und fördert das Sichanvertrauen. Auch im Gehirn des Vaters wird Oxytocin freigesetzt, wenn auch in geringerem Maß, um eine schützende und versorgende Bindung zu ermöglichen. Vasopressin spielt ebenso eine wichtige Rolle im Gehirn des Vaters und unterstützt die Paarbindung zwischen Vater und Mutter, besonders nach der Geburt eines Babys.

Die Sinne des Babys verflechten sich immer mehr miteinander, um sich ein Bild von der Welt da draußen zu machen. Die Stimmen der Eltern werden im Gehirn des Kindes verankert, geben ihm Führung und Richtung. Noch stellt vor allem die Mutter das Überleben sicher.

Ab dem Alter von zwei Jahren kann das Kind mehr von der physischen Welt mit allen Sinnen wahrnehmen. Zusätzlich entdeckt es nun eine Sprache für seine emotionale Welt. Es beginnt, sich ein Bild der emotionalen Welt zu machen, in welcher die Eltern im Zentrum stehen. Dieses bildet dann die Grundlage für die Schaffung eines Zugehörigkeitsbedürfnisses. In diesen Jahren dreht sich alles darum, zu spüren, dass man zur Familie gehört. Die Neurotransmitter-Systeme sondern a) Dopamin und Serotonin ab, um ein Gefühl des Glücks und der Zugehörigkeit zu vermitteln, und b) wenn dieses Zugehörigkeitsempfinden bedroht ist, setzt ein anderes System Acetylcholin und Noradrenalin als Antwort auf Bedrohung und Stressoren frei.“

All das bestätigt, dass wir in bestimmten Phasen unseres Lebens auch ganz bestimmte Bezugspersonen haben. In den ersten Lebensjahren, in denen der Einfluss der Mutter am stärksten ist, sollte sich in Bezug auf das Kind alles um Intimität, Vertrauen und Zugehörigkeit drehen. Das bildet später im Leben des Kindes die Grundlage für jede Art von Beziehungsfähigkeit.

2. – 3. Jahr

Diese Jahre werden oft als die „Schrecklichen Zwei“ oder „Schrecklichen Drei“ bezeichnet. Und zwar von denen, die dadurch frustriert sind, dass ihr Kind nun in seine erste Phase der Unabhängigkeit hineinwächst. Weil die Kinder sich nun auf ihren eigenen Beinen fortbewegen können, möchten sie herausfinden, wie weit sie gehen können. Es gefällt mir, Mütter in Einkaufszentren zu beobachten, die ihren 2- oder 3-Jährigen hinterherlaufen. Dies ist die Phase, in der Kinder Autonomie oder Angst lernen. Bei dem Prozess, etwas zu entdecken, testen sie ihre Grenzen aus. Es ist nun wesentlich, dass Eltern anfangen ihren Kindern Gelegenheit zu geben, Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel: „Welches Getränk würdest Du gern trinken? Das Rote, das Gelbe oder das Grüne?“ Lass zu, dass das Kind die Entscheidung trifft und bleib dann dabei. So lernt es, dass die Wahl, die es getroffen hat, Konsequenzen hat.

Diese Jahre sind aber auch Jahre emotionaler Frustration, die oft zu Temperamentsausbrüchen (heftige Zurschaustellung von Wut oder Frustration oder plötzlicher schlechter Laune) führen. In dieser Phase sind die sprachlichen Fähigkeiten von Kindern noch nicht voll entwickelt, was bedeutet, dass das Kind sich nicht richtig erklären kann. Es wird mit der Tatsache konfrontiert, dass im Leben nicht immer alles so läuft, wie es das am liebsten hätte. Es ist wichtig für das Kind, dass sein Wille geformt wird, ohne dass man seinen Geist zerbricht. In diesen Jahren kommt es unbedingt auf die Art an, wie das Kind diszipliniert wird.

4. – 5. Jahr

Dies sind die letzten Jahre, in denen die Mutter die vorrangige Rolle bei der Kindesentwicklung spielt. Nach Erikson lernt das Kind in diesen Jahren Fleiß oder Unterlegenheit. In diesem Stadium sollten Kinder in der Lage sein, sich sprachlich klarer auszudrücken. Infolge davon lassen die Frustrationen nach.

Man sollte dem Kind kleinere Aufgaben übertragen, damit es Verantwortung lernt und in seinen Fähigkeiten bestätigt wird. Dies sind auch die letzten Jahre der sehr nahen, tröstenden Intimität mit der Mutter, bevor sie die Kinder davon entwöhnt und sie in die Phase entlässt, in welcher der Vater den größten Einfluss hat. In diesen Jahren sollte auch die intellektuelle Stimulation des Kindes nicht vernachlässigt werden. Die Geburt eines zweiten Kindes führt manchmal zur Vernachlässigung des ersten Kindes, was in dieser Entwicklungsphase besonders schädlich ist. Der scheinbar endlose Strom von Fragen, die Kinder in diesen Jahren stellen, sind bedeutender Bestandteil ihrer intellektuellen Entwicklung. Sie sind eine exzellente Gelegenheit für die Eltern, den Intellekt ihres Kindes zu fördern, indem sie ihnen weitere Fragen stellen, echte Gespräche in Gang bringen und sich auf die Vorstellungswelt von Kindern einlassen.

Cassie Carstens

Cassie Carstens ist der Gründer der internationalen Bewegung "The world needs a father" und lehrt weltweit zum Thema Vaterschaft.